Ergebnisse der Grätzlbefragung

Zwischen 8. September und 8. November 2016 führte die Gruppe Zwangsräumungen verhindern eine Befragung im 15.Bezirk durch. Besonders bei zwei Straßenfesten gab es dadurch spannende Gespräche und viel Interesse: Das Thema Wohnen und steigende Miete wird viel diskutiert und die beobachtete Aufwertung lässt die Verdrängung weniger einkommensstarker Bevölkerungsschichten befürchten. Unser Ziel war es, mehr über die Veränderungen im Grätzl und die Wohnsituation zu erfahren, um Möglichkeiten und Notwendigkeiten herauszufinden, wo und wie gemeinsam etwas gegen steigende Mieten, Verdrängung und Delogierungen getan werden kann.

Insgesamt wurden 75 Fragebögen ausgewertet und die Ergebnisse am 13.Dezember im Café Prosa präsentiert. Wichtiger als die Sammlung einer Masse an (quantitativen) Daten für die Statistik oder der Anschein von Repräsentativität war uns, bei der Befragung in die Tiefe zu gehen und gemeinsam mit den Befragten zu diskutieren. Denn vor allem dies schafft wichtige Einblicke und hilft bei der gemeinsamen Suche nach möglichen Handlungswegen. Befragt wurden Menschen, die sehr unterschiedlich lang im Grätzl leben, von Neu-Zugezogenen (vor wenigen Monaten) bis zu Alt-Eingesessenen (über 70 Jahre), wodurch wir verschiedene und auch überraschend ähnliche Einschätzungen zu den Veränderungen im Grätzl, der Situation im Haus und der eigenen Mietsituation erfahren haben.

Veränderung im Grätzl

Von den Befragten wird eine starke Veränderung des Grätzls und eine deutlich sichtbare Aufwertung beschrieben. Neben leerstehende Wohnungen und Geschäftslokalen werden hauptsächlich Sanierungen, Aufstockungen und Dachausbauten erwähnt. Während neu entstehende Initiativen (Samstag in der Stadt, offener Bücherschrank) häufig als positiv bezeichnet werden, äußern sich viele kritisch gegenüber dem Verschwinden altansässiger Geschäfte und Kleinstbetrieben. Die Mietpreise in neu sanierten Häusern werden als sehr hoch eingeschätzt und einige stellen fest, dass Menschen zunehmend kürzer im Grätzl wohnen.

Die Frage danach, was im Grätzl fehlt, wurde besonders ausführlich beantwortet. Neben Grünflächen wünschen sich die meisten Befragten soziale Treffpunkte, wo Leute zusammen kommen können, also gemütliche Orte, die gratis genutzt werden können.

Situation im Haus

Während der Großteil der Befragten das Verhältnis zur Hausverwaltung als (eher) gut beschreibt, ist die Liste der Probleme im Haus lang. Fast 20% der Befragten berichten, dass die Eigentümer*innen sich kaum um das Haus kümmern und es verfallen lassen. Vereinzelt wurden auch Schikanen, ein versuchter Rausschmiss und zugenagelte Balkone erwähnt. Interessant ist außerdem, dass nur sechs der Befragten angeben, dass in ihren Häusern Mieter*innenversammlungen stattfinden, während sich fast 40% vorstellen können, selbst eine Hausversammlung zu organisieren. Hier stellt sich die Frage: Was braucht es, damit dies auch wirklich getan wird? Denn Mietprobleme sind meist keine individuellen und eine gut informierte und solidarische Hausgemeinschaft kann ihre Interessen gegenüber Eigentümer*in oder Hausverwaltung besser durchsetzen als vereinzelte Mieter*innen. Bezüglich der Fluktuation von Mieter*innen im Haus gibt die Hälfte an, dass ihre Nachbar*innen häufig wechseln. Der Grund dafür ist meist die zu hohe Miete bzw. eine Mieterhöhung sowie die Befristung von Verträgen. Bei der Frage danach, ob Nachbar*innen bereits delogiert wurden, wird sichtbar, wie wenig über die Situation von Nachbar*innen bekannt ist: 84% der Befragten wissen nicht, ob wer aus dem Haus zwangsgeräumt wurde oder machen keine Angabe dazu.

Auch hier zeigt sich die Notwendigkeit, sich zu kennen, einander zu vertrauen und Probleme im Wohnbereich gemeinsam anzugehen. Die Organisierung im Haus scheint so ein zentraler Hebel, um aus der Scham und dem Gefühl individuellen Versagens herauszukommen und gemeinsam gegen Verdrängung und Delogierungen vorzugehen. Die Befragung hat gezeigt: Das Potential und Interesse an einem größerem Miteinander und einer solidarischen Unterstützung ist da, bisher passiert aber recht wenig, um dies zu realisieren. Für die Gruppe Zwangsräumungen verhindern leitet sich daraus die Frage ab, wie Schritte der Organisierung unterstützt und gemeinsam mit Bewohner*innen des Grätzls angepackt werden können.

Eigene Mietsituation

Bei der eigenen Wohnsituation ist auffallend, dass drei Viertel der Mietverträge noch unbefristet sind. Dabei handelt es sich nicht nur um alte Verträge, sondern auch um Neuvermietungen – und dies obwohl in Wien 2/3 der Neuvermietungen befristete Verträge haben. In Bezug auf die Miethöhe müssen fast 50% der Befragten mehr als ein Drittel des Einkommens für die Miete aufwenden, teilweise sogar weit über die Hälfte. Trotzdem geben nur 15% der Befragten an, wegen der Mietkosten sparen zu müssen. Es wird also zunehmend zur akzeptierten Normalität, dass ein erheblichen Anteil des zur Verfügung stehenden Geldes für die Miete draufgeht.

Aufgabe von wohnpolitischen Gruppen scheint es damit zu sein, Gründe für steigende Mieten gemeinsam mit Mieter*innen zu erforschen und zu diskutieren und damit zu zeigen: Der Anstieg der Mieten ist kein Naturgesetz, sondern liegt an Logiken des Wohnungsmarktes. Schrittweise Liberalisierungen des Mietrechtgesetzes und die marktwirtschaftliche Profitlogik bedeuten steigende Gewinne für Eigentümer*innen und Immobilienfirmen, aber damit auch steigende Leistbarkeitsprobleme für Mieter*innen.

Was tun?

Im Falle einer Kündigung würden über 50% der Befragten rechtliche Schritte einleiten und 20% auch Widerstand leisten und sich vernetzen. Außerdem geben 90% an, Nachbar*innen im Falle einer Delogierung zu unterstützen. Fast alle Befragten würden außerdem an einer Demo gegen hohe Mieten teilnehmen und der Großteil auch an anderen Veranstaltungen zum Thema leistbares Wohnen.

Dies zeigt an: Es gibt den Wunsch, sich gegen Delogierungen und für leistbares Wohnen einzusetzen. Was fehlt, sind anscheinend die konkreten Handlungsoptionen, sich zu beteiligen und mitzuorganisieren. Dies sind wichtige Anregungen für Zwangsräumungen verhindern und nächste Schritte werden geplant. Damit ist die Befragung erst der Anfang einer gemeinsamen Organisierung im Grätzl.

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